Seit den fünfziger Jahren wird dem therapeutischen Einsatz des Pferdes wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil, obwohl die Wurzeln des Wissens um „die heilende Wirkung des schreitenden Pferdes“ bis in die Zeit des römischen Kaisers Marcus Aurelius (121-180 n.Chr.) zurückreichen, dessen Arzt sich bereits mit dem Reiten als Form einer gymnastischen Übung auseinandergesetzt hat. Auch der Arzt Bartholomaeus Castellius schrieb bereits im Jahr 1663, der reitende Mensch müsse, „die Bewegungen des Pferdes in sich aufnehmen“ und „mit den Bewegungen des eigenen Körpers in Einklang bringen“.
Die ausgleichende Wirkung des rhythmischen Bewegtwerdens bei verschiedenen körperlichen Störungen und Krankheitsbildern wird von Ärzten und Physiotherapeuten als Bestandteil und Ergänzung krankengymnastischer Behandlungsmaßnahmen genutzt; auch und insbesondere dort, wo herkömmliche Methoden nicht (mehr) greifen. Zum Beispiel bei bestimmten Erkrankungen und Schädigungen des Zentralnervensystems und des Stütz- und Bewegungsapparates, bei Spastiken, Querschnittslähmungen, im rehabilitativen Bereich nach Unfällen, Operationen oder Infarkten und bei Kindern mit angeborenen Störungen wie z.B. Kinderlähmung oder Ataxie.
Im Schritt überträgt das Pferd auf den Patienten ein den menschlichen Gangbewegungen entsprechendes Bewegungsmuster ( dreidimensionale, rhythmischen Schwingungen ), wodurch auch dem Menschen mit Gehbehinderung oder Gehunfähigkeit Bewegungserfahrungen vermittelt werden, die ihm sonst nicht zugänglich gemacht werden können.
Einzigartig ist die pferdegestützte Förderung auch für die psychischen Motivation des Patienten, ausgelöst durch den lebenden Übungspartner Pferd. Das Pferd hat besonders gegenüber Kindern und Jugendlichen einen hohen Aufforderungscharakter.
Das Kind begegnet dem Pferd generell mit Respekt, Angst, Bewunderung und Liebe - diese Gefühle sind pädagogisch bekannt als die Vorraussetzungen für Erziehungs- und Lernprozesse.
Das Pferd bewirkt durch sein entgegenkommendes, aufforderndes Wesen bei verhaltensauffälligen Kindern ein Verhalten, das diese Kinder im Normalfall verweigern würden. Das Pferd fordert direkt zur emotionalen und nonverbalen Kontaktaufnahme auf.
Im heutigen Alltagsleben - besonders im schulischen Bereich- sind Kinder und Jugendliche enormen Überforderungs- und Stresssituationen ausgesetzt. So besteht im Erziehungs- und Bildungsprozess eine konstante Gefahr, dass die Umwelt mehr von den Heranwachsenden verlangt, als sie wirklich leisten können. Sind die verfügbaren körperlichen und geistig-seelischen Kräfte aufgebraucht, entsteht eine Überforderungssituation, auf die das Kind unter Umständen mit Aggression, innerlichem Rückzug oder chronischer Krankheit reagieren kann.
Tatsache ist, dass sich der Lebensraum der Kinder/Jugendlichen in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat. Die Besiedlung der Städte hat sich verdichtet, Freiflächen zum Spielen sind reduziert, der Autoverkehr ist längst nicht mehr umwelt- und sozialverträglich. Die Kindheit wird mehr und mehr im begrenzten Rahmen der Wohnung als im Freien erlebt. Das Fernsehen und der Computer stehen weitaus mehr im Mittelpunkt des Interesses als vor einigen Jahrzehnten, als die Kinder noch stärker darauf angewiesen waren, sich aus eigenem Antrieb heraus zu beschäftigen, kreativ zu sein, wenn es galt neue Spiele und Spielsachen zu entwickeln.
Heute wird ihnen durch die allgegenwärtige Multimedialität eine Konsumgesellschaft vorgesetzt, derer sie sich kaum entziehen können. Sie bauen sich nicht mehr ihre eigene kindliche Welt, sondern werden in eine von Erwachsenen kreierte Welt gesetzt, in deren Rahmen sie sich bewegen "dürfen": Durch Termine zeitlich eingeschränkt, durch Zäune territorial abgesteckt und durch die Notwendigkeit zumeist mit dem Auto zu Freizeitaktivitäten gefahren werden zu müssen.
Es herrscht ein Mangel an Frei-Räumen, unter dem die Kinder heute wahrhaftig leiden. Wird der Bewegungsraum des Kindes in der Entwicklung eingeschränkt, so werden auch Seele und Geist in ihrer Entfaltungsmöglichkeit reduziert. Bewegung wird durch Üben, Ausprobieren, Experimentieren, durch Vorbilder und Erfahrungen zu einem mühelosen Vorgang, der viel Freude über das Gelingen erzeugt. Gelungene Bewegungen sind Erfolgserlebnisse, die stolz machen, die anspornen, mutiger zu werden und die das Körpergefühl, ein Bewußtsein von sich selbst und das Selbstbewußtsein wachsen lassen.
Können Kinder zu keinen befriedigenden Bewegungserlebnissen und -ergebnissen mehr kommen, erleiden sie sogenannte motorische Entwicklungsstörungen oder Störungen der Grob- und Feinmotorik, welche sich wiederum in Verhaltensauffälligkeiten widerspiegeln können, da das Kind durch die eingeschränkte Bewegungsmöglichkeit Unsicherheit im Umgang und Spiel mit anderen Kindern erfährt. Auch in Bezug auf die multimediale Erlebniswelt kann von einer Einschränkung der Bewegungsfreiheit gesprochen werden
Das „Medium“ Pferd erleichtert oft den Zugang besonders zu stark zurückhaltenden Menschen und wirkt gleichermaßen beruhigend auf sehr aktive, unruhige Menschen ein. Der korrekte Umgang mit dem Pferd und die Pflege des Tieres fördern die Teilnehmer nicht nur in der Bildung sozialer Kompetenzen durch das gemeinschaftliche Versorgen, Kümmern und Auseinandersetzen mit dem Verhalten des Pferdes, sondern stärken auch das Verantwortungsgefühl und die Bereitschaft emotionale Zuwendung zu geben und zu empfangen.